Depression bezeichnet ein Spektrum affektiver Gesundheitsstörungen, die Denken, Fühlen, Verhalten und körperliche Regulation beeinflussen. Sie ist weltweit verbreitet, wird jedoch häufig spät erkannt und kann Funktionsfähigkeit, Teilhabe und Lebensqualität erheblich einschränken.
Zitiervorschlag für diesen Glossar-Eintrag:
Kelle-Herfurth, K. (2025). Depression. Glossar. Abgerufen am [Datum], von https://karin-kelle-herfurth.de/glossary/depression/
Definition und Bedeutung:
Depressionen zählen zu den häufigsten und zugleich meist unterschätzten Gesundheitsstörungen. Sie sind durch anhaltende Niedergeschlagenheit, Interessenverlust, Antriebsminderung und Erschöpfung gekennzeichnet.
IIn der klinischen Klassifikation (ICD-10/-11, DSM-5) gelten Depressionen als affektive beziehungsweise psychische Störungen.
Aus systemischer Sicht werden sie jedoch als mehrdimensionale Gesundheitsphänomene verstanden, weil sie sich in einem fortlaufenden Wechselspiel biologischer, psychischer und sozialer Faktoren entwickeln, gegenseitig beeinflussen und stabilisieren.
Eine Depression kann insofern als multifaktorielle Regulationsdysbalance beschrieben werden – also als Prozess, bei dem die Selbststeuerung von Emotion, Energie und sozialer Resonanz aus dem Gleichgewicht gerät. Sie zeigt sich nicht nur „im Kopf“, sondern zugleich in körperlichen Rhythmen, kognitiven Mustern, Kommunikationsformen und Beziehungsdynamiken. Somit äußert sich eine Depression in der Weise, wie ein Mensch in Resonanz mit sich und seiner Umwelt tritt oder sich zurückzieht.
Medizinische Merkmale:
Hauptsymptome:
- Anhaltende gedrückte Stimmung (Niedergeschlagenheit)
- Interessenverlust und Freudlosigkeit
- Verminderter Antrieb und erhöhte Ermüdbarkeit
Zusatzsymptome:
Häufig Schlafstörungen, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Appetit- oder Gewichtsveränderungen, innere Unruhe, unspezifische körperliche Beschwerden, selbstabwertende Gedanken, negative Zukunftserwartungen, suizidale Gedanken oder Handlungen.
Ein einheitliches Erscheinungsbild gibt es nicht: Depressionen können episodisch, rezidivierend oder chronisch verlaufen. Schweregrade und Verlaufsformen variieren, äußere Anzeichen fehlen oft. In schweren Phasen sind selbst einfache Alltagstätigkeiten massiv beeinträchtigt.
Systemische Einordnung und Wechselwirkungen:
Mit systemischem Verständnis wird Depression nicht als isoliertes Krankheitsbild verstanden, sondern als Regulationsphänomen im Spannungsfeld mehrerer Ebenen. Diese Übersicht zeigt, wie verschiedene Ebenen ineinandergreifen und sich wechselseitig beeinflussen:
| Ebene | Systemische Dynamik | Beispiele für Wechselwirkungen |
|---|---|---|
| Biologisch-somatisch | Neurobiologische und hormonelle Dysregulation, Schlaf- und Energiestörungen | Erschöpfung, Fatigue, verlangsamte Regeneration, veränderte Schmerzwahrnehmung |
| Psychisch-emotional / kognitiv | Veränderungen in Wahrnehmung, Denken, Motivation und Selbstbezug | Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Grübelschleifen, Selbstabwertung, verzerrte Bewertungsmuster, Entscheidungsunsicherheit, Verlust von Sinnbezug |
| Sozial-interaktional | Rückzug, Rollenkonflikte, Resonanzverlust | Spannungen in Beziehungen, Isolation, Missverständnisse im Alltag |
| Organisational-strukturell | Dysfunktionale Arbeits- oder Kommunikationsordnungen | Überlastung, fehlende Entlastungsräume, Rollenambiguität, unklare Erwartungen |
| Gesellschaftlich-kulturell | Stigmatisierung, Leistungsnormen, Unsichtbarkeit | Tabuisierung psychischer Belastungen, Scham, Hemmnisse bei Reintegration und Hilfezugang |
Diese Matrix verdeutlicht: Depressionen entstehen und wirken an Knotenpunkten dieser Ebenen. Systemisch verstanden heißt das: Eine Veränderung auf einer Ebene – etwa chronische Überforderung oder soziale Isolation – kann über Rückkopplungsschleifen emotionale, kognitive, körperliche oder soziale Symptome auslösen und verstärken. Umgekehrt können gezielte Veränderungen in Strukturen, Rollen oder Kommunikation auf anderen Ebenen entlastend wirken und die Regulation stabilisieren.
Hinweis zur kognitiven Dimension:
Kognitive Prozesse bilden eine Brücke zwischen körperlicher Regulation, emotionalem Erleben und sozialer Orientierung. Sie bestimmen, wie Informationen wahrgenommen, bewertet und in Handlungen übersetzt werden. In depressiven Zuständen zeigt sich dies beispielsweise in Grübelschleifen, Entscheidungsblockaden oder negativen Denkmustern über sich selbst, die Welt und die Zukunft. Damit ist die Kognition kein isolierter Aspekt, sondern eine verbindende Ebene im gesamten Regulationsgeschehen.
Begriffsherkunft und Kontext:
Der Begriff Depression leitet sich vom lateinischen deprimere („niederdrücken“) ab und wurde seit dem 19. Jahrhundert im medizinisch-psychiatrischen Kontext etabliert.
Heute beschreibt er klinisch definierte Syndrome (z. B. unipolare oder rezidivierende Depression) und wird zugleich umgangssprachlich für belastende Stimmungslagen verwendet. In der systemischen und sozialmedizinischen Diskussion steht Depression exemplarisch für die Verschränkung individueller, sozialer und struktureller Belastungsdynamiken.
Anwendung und praktische Relevanz:
Medizinisch dient der Begriff zur Diagnose, Behandlung und Prävention affektiver Störungen.
Systemisch erweitert er den Blick: Depressionen werden als Signale einer gestörten Regulation zwischen Person und Umwelt verstanden. Diese Perspektive eröffnet neue Handlungsfelder – medizinisch, psychosozial und organisational.
Beispiele für systemische Relevanz:
- In der medizinischen Online-Beratung berichten viele Betroffene zunächst über körperliche Beschwerden wie Schlaflosigkeit oder Erschöpfung. Erst im Dialog werden emotionale und soziale Wechselwirkungen sichtbar.
- In Organisationen zeigt sich, wie Kommunikationsmuster, unausgesprochene Erwartungen oder Rollenunklarheiten psychische Belastungen verstärken können.
- In der Rehabilitation bedeutet „Behandlung“ nicht nur Symptomlinderung, sondern Wiedergewinnung von Funktionsfähigkeit, Selbstwirksamkeit und Teilhabe.
Damit wird der Begriff „Depression“ zum Brückenkonzept: Er verbindet klinische, soziale und gesellschaftliche Dimensionen und trägt dazu bei, Stigmatisierung zu reduzieren und Teilhabe zu fördern.
Verwandte Begriffe und Kontextbezüge:
Affektive Störungen, Erschöpfung, Fatigue, Burnout, Chronische Belastungsreaktionen, Funktionsstörung, Teilhabe, Selbstregulation, Selbstwirksamkeit, psychosoziale Edukation und Coping, Systemische Gesundheitsbildung
Weitere Ressourcen:
- Kategorie-Übersicht: Depressionen erkennen, verstehen und professionell begleiten
- Fachartikel-Reihe: Depression: Erkennen, darüber reden und Stigmatisierung abbauen
- Systemische Gesundheitsforschung und Komplexitätsmanagement
- Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz: Für kleine Unternehmen essenziell
- Long COVID im Berufsalltag – Wissen für Wiedereinsteiger und Fachleute im BEM
Externe Quellen:
- AWMF: S3-Leitlinie Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression
- REHADAT-Wissen: „In Schwermut steckt Mut!“ – Wie sich die berufliche Teilhabe von Menschen mit Depressionen gestalten lässt
- Deutsche Depressionshilfe
- Terra-X-Kolumne: Was bei Hochfunktionaler Depression hilft | Warum es „Hochfunktionale Depression“ eigentlich nicht gibt