fit@Work – Zwischen Belastung und Balance:
Prävention mit systemisch-medizinischem Weitblick
Wie lässt sich Gesundheit dort stärken, wo sie täglich herausgefordert wird – gerade in dynamischen, körperlich fordernden und organisatorisch komplexen Arbeitsumgebungen, auf Baustellen, in Fahrzeugen, im öffentlichen Raum, im Schichtdienst oder bei wechselnden Einsatzorten?
Mit dieser Frage entstand das fit@Work-Konzept aus der Idee, Prävention dort umzusetzen, wo Arbeit in Bewegung bleibt. Das theoretische Konzept wurde zwischen 2018 und 2020 in Zusammenarbeit mit der Stadtreinigung Hamburg als Kundenprojekt entwickelt und gleichzeitig in ein praxisintegriertes Programm überführt. Ziel war auch, Gesundheit als Zusammenspiel von individuellem Bewusstsein, körperlicher Belastung, organisatorischen Strukturen und sozialer Verantwortung systemisch zu verankern.
Fragen zu Beanspruchung, Belastbarkeit und Arbeitsrhythmus gewinnen zunehmend an Bedeutung, dies ist mit Blick auf die demografische Entwicklung der Beschäftigungsstrukturen relevant. So lässt sich Gesundheit im Unternehmen als lernfähiger Balanceprozess von Systemen und Individuen verstehen: zwischen Anforderung und Erholung, Körper und Arbeit, persönlicher Verantwortung und betrieblicher Gestaltung.
Kurz danach veränderte die Pandemie die Perspektive auf Arbeit, Prävention und Gesundheit grundlegend und machte deutlich, wie wichtig es ist, Balance als fortwährenden Prozess und nicht als statisches Gleichgewicht zu begreifen.
Das Wichtigste in Kürze
fit@Work ist ein medizinisch und arbeitswissenschaftlich fundiertes Präventionskonzept mit Fokus auf bewegungsintensive oder körperlich belastende Tätigkeiten. Im Unterschied zu vielen klassischen Programmen lag der Fokus weniger auf Fitness oder Verhalten, als vielmehr auf der Verknüpfung von Wahrnehmung, Kommunikation und Struktur und dem Brückenschlag zwischen Mensch, Team und System.
Es verbindet in diesem Anwendungskontext drei Elemente zu einem mehrdimensionalen Gesamtansatz:
Präsenztage und Hospitationen: Gesundheitsgespräche, Beobachtung realer Arbeitssituationen, Beratung zur körperlichen und organisatorischen Belastung, Workshops zu Beanspruchung, Selbstregulation und Regeneration.
Anforderungsorientierte Mikro-Übungen: Kurze, alltagstaugliche Bewegungssequenzen (10–30 Minuten), die auf individuelle Arbeitsbedingungen abgestimmt und direkt integrierbar sind.
Digitale Begleitung: Online-Lernmodule, Videos, interaktive Kommunikationsräume – für nachhaltiges Lernen und Austausch zwischen Fachkräften, Führung und Mitarbeitenden.
fit@Work in der Praxis: Fallbeispiel Stadtreinigung Hamburg
Das Projekt mit der Stadtreinigung Hamburg machte deutlich, dass Prävention umso besser Wirksamkeit entfalten kann, wenn sie in die reale Arbeitsorganisation integriert ist, nicht als Zusatzangebot, sondern als Teil des Alltags, wo sie strukturell verankert und kulturell legitimiert wird.
Gemeinsam mit den Teams wurden theoriebasierte Interventionen und Bewegungssequenzen mit einem Pool an Ausgleichsübungen entwickelt, die den spezifischen physischen Anforderungen bei der Müllabfuhr, der manuellen Straßenreinigung und beim Fahrdienst mit Kehrmaschinen gerecht werden. In diesen Bereichen prägen körperliche Beanspruchung, Zeitdruck und Sicherheitsanforderungen den Alltag.
Die Übungen lassen sich ohne Hilfsmittel unmittelbar im Arbeitsablauf umsetzen – an Fahrzeugen, auf Sammelplätzen, in Pausenräumen. Sie zielen auf die am stärksten belasteten Regionen: Rücken, Knie, Schultern, Hände.
Begleitend wurden Führungspersonen und Kolonnenteams geschult, um Bewegungsimpulse aktiv zu fördern und damit das Thema Gesundheit sichtbar in die Arbeitskultur einzubringen. Das Konzept diente damit auch als organisationaler Lernprozess: Gesundheit wurde nicht als Zusatzleistung verstanden, sondern als Kommunikationsleistung und Führungsaufgabe.
Teil 1: Bewegung im Arbeitsfluss
Gemeinsam mit den Teams wurden 27 Ausgleichsübungen konzipiert, die sich ohne Hilfsmittel direkt in die Arbeitsroutinen integrieren lassen: kurze, wirksame Sequenzen, die die Mobilisation fördern, Verspannungen lösen und die Regeneration unterstützen. Die Übungen zielen auf besonders anfällige Körperregionen wie Rücken, Schultern und Knie ab, die häufig von muskulären Fehlbelastungen betroffen sind.
Ergänzend dazu wurden Anleitungen zur Wahrnehmung von Atmung, Spannung und Bewegungsfluss entwickelt. Dieser Ansatz stärkt das Körperwissen und beugt Überlastung vor. So verband sich physische Prävention mit kognitiver und emotionaler Regulation. Bewegung bedeutet nämlich nicht nur körperliche Aktivität, sondern auch Bewusstmachung.
Die fit@Work-Workouts dienten als Impulse zur eigenständigen Adaptation. Sie kombinieren im Gesamtpool je nach Einsatz Mobilisation, Kräftigung und Dehnung – drei Prinzipien, die Belastung auffangen und aktiv Erholung einleiten. Regelmäßige Aktivpausen wurden als integraler Bestandteil der Arbeit verstanden und an Arbeitsrhythmen in der Gemeinschaft angepasst. Dieses Verständnis hat sich in der Praxis auch in anderen Arbeitsfeldern (z. B. Klink, Pflege) bewährt, wo körperliche Anforderungen und Zeitdruck kaum klassische Pausengestaltung zulassen.
Daran gekoppelt sind akzeptanzfördernde Instruktionen und Unterstützung der Teams durch die Gruppenleiter und Kollonnentrainer hinsichtlich gesundheitsbewusster, ergonomischer und sicherer Arbeitsweisen zur Belastungsreduktion und Verletzungsprävention.
Beispiel Fahrer und Fahrerinnen: Welche körperlichen Belastungen sind relevant?
Bei FahrerInnen kommt es vor allem durch drei wesentliche Belastungsarten und körperliche Beanspruchungen auf einen guten Ausgleich an.
Fallen sie Ihnen auf? Mehr erfahren Sie direkt im Video.
Zum Anschauen bitte das Video anklicken (YouTube wird erst dann Daten von Ihrem Gerät abrufen).
Übungsbeispiel für den unteren Rücken, Lendenwirbelsäule, Kreuzdarmbeingelenke
Die 27 Ausgleichsübungen finden Sie über den YouTube-Kanal der Stadtreinigung Hamburg. Hier sind beispielhaft einmal drei Übungen für KraftfahrerInnen und FahrerInnen der Kehrmaschinen.
Grundsätzlich sind die Übungen für alle geeignet, die viel sitzen.
1. Horizonte
2. Die Schaukel
3. Zieh und Schieb mich

Übung 1: Horizonte – Wirkung
Dies ist eine einfache Einstiegsübung, noch keine spezifische Übung für Lendenwirbelsäule und Kreuzdarmbeingelenk.
Sie wirkt auf mehreren Ebenen und dient der …
- Vorbereitung und dem Ausgleich zwischendurch
- Mobilisation der Brust- und Lendenwirbelsäule
- Dehnung der Brust- und Bauchmuskulatur
- Atemvertiefung und mentalen Stärkung
Übung 1: Horizonte – Durchführung
- Stellen Sie sich bequem hin, gehen Sie leicht in die Knie. Die Arme sind nach vorne gestreckt auf Schulterhöhe.
- Drehen Sie nun Ihren Oberkörper mit dem rechten Arm vorneweg langsam soweit wie möglich nach rechts (lassen Sie das Becken dabei fixiert, damit sich die BWS und LWS aufrichten und gegeneinander drehen können).
- Wenn es nicht mehr weiter geht, gerade noch angenehm ist, bleiben Sie dort. Zeigen Sie mit dem Zeigefinger auf einen Punkt, den Sie gerade noch sehen und fixieren Sie ihn mit dem Auge. Halten Sie diese Position 10 Sekunden und atmen Sie ruhig und gleichmäßig weiter, ruhig bewusst auch tiefer in den Bauch hineinatmen.
- Drehen Sie sich dann langsam zurück und führen Sie die Arme vorne wieder zusammen. Schließen Sie die Augen und atmen Sie 2 – 3 x hintereinander tief ein und jeweils dreimal so lang wieder aus.
- Jetzt drehen Sie sich noch einmal so weit wie möglich nach rechts. Suchen Sie sich einen neuen Punkt, der gerade noch sichtbar ist. Nehmen Sie wahr, wie groß der Abstand zum ersten geworden ist.
- Wiederholen Sie noch einmal Punkt 5 und machen Sie das Gleiche dann zur linken Seite. Insgesamt jeweils 3 – 4 mal.
Teil 2: Digitale Lernräume und Gesundheitskommunikation
Parallel entstand ein digitales Lern- und Kommunikationssystem im Intranet der Stadtreinigung Hamburg. Über Smartphones oder Computer konnten Mitarbeitende somit auf Übungsvideos, Hintergrundwissen und kurze Lernmodule zugreifen. Diese Plattform machte Prävention orts- und zeitunabhängig erfahrbar – besonders für mobile Berufsgruppen mit wechselnden Einsatzorten.
Im Mittelpunkt stand das Prinzip: Gesundheit ist vernetzt. Digitale Räume ermöglichen kollektives Lernen, Dialog und Feedback – sie verbinden individuelle Erfahrung mit organisationalem Wissen.
Gesund, digital & vernetzt – Das BGM der Zukunft
Das Beispiel zeigt, wie gut analoge und digitale Gesundheitsangebote zusammenwirken können, wenn sie aufeinander abgestimmt sind und Sinn stiften: Bewegung, Wahrnehmung, Kommunikation und Struktur greifen ineinander. Für Unternehmen bedeutet das: Prävention kann als strategisches Element der Arbeitsgestaltung gedacht werden. Sie unterstützt nicht nur die Gesundheit Einzelner, sondern stabilisiert Systeme – besonders in Zeiten zunehmender körperlicher, psychischer und sozialer Komplexität.
Demografiesensible und inklusionsorientierte Ansätze gewinnen dabei an Bedeutung: Gesundheit sollte lebensphasen- und konstitutionsgerecht gestaltet werden, um individuell unterschiedliche Voraussetzungen, Belastungsgrenzen und Erholungsbedürfnisse zu berücksichtigen – unabhängig von Alter, Geschlecht, Behinderung oder Gesundheitsstatus. Solche Perspektiven erfordern interdisziplinäre Zusammenarbeit – zwischen Medizin, Ergonomie, Arbeitspsychologie und Organisationsentwicklung.
In diesem Beispiel habe ich Ihnen gezeigt, wie vorhandene IT-Infrastrukturen sinnvoll im BGM genutzt und für das interaktive Gesundheitsportal adaptiert werden können. Somit sind unnötige Zusatzinvestitionen vermeidbar. Überlegen Sie, welche Aspekte Sie mit eigenen Bordmitteln umsetzen können, und wenden Sie sich bei Bedarf an Ihre IT-Abteilung oder kompetente externe Berater und Dienstleister, die sich auf Enterprise-Lösungen spezialisiert haben.
Für die fachliche Umsetzung des Gesundheitsportals reichen zunächst ein erstes inhaltliches und didaktisches Konzept, eine Basisstruktur für die Plattform – ähnlich wie bei der Erstellung einer Website – und Content zu ein paar aktuellen, gut ausgewählten Themen unter Nutzung verschiedener Medien aus (z. B. Textbeiträge mit kurzen Video- oder Audio-Sequenzen).
Mit dem ersten Feedback freiwilliger Multiplikatoren und in der Interaktion mit den Mitarbeitenden kann es dann in kleinen Schritten weiterentwickelt und bedarfsorientiert ausgebaut werden. Schließlich ist es für sie gedacht.
Mit einer klaren Ausrichtung der Gesundheitsangebote auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden, auf bestimmte Zielgruppen sowie auf nutzerzentrierte IT-Anwendungen steht nicht die Technologie im Fokus. Vielmehr geht es darum, Gesundheit am Arbeitsplatz für die Mitarbeitenden leichter zugänglich zu machen und dafür eben auch digitale Tools zu nutzen.
Aus dieser Perspektive wird die Digitalisierung zum Werkzeug und Medium. Das kann zu einer besseren Akzeptanz und Nutzung in anderen betrieblichen Abläufen beitragen. Gleichzeitig werden Kompetenzen zur vernetzten Kommunikation, Zusammenarbeit und zum Lernen gefördert, sodass die Organisation agiler, handlungs- und anschlussfähiger wird – mit Blick in die digitale Zukunft.
Unternehmen können über das BGM und HR auf systemischer Ebene dazu beitragen, dass Menschen einen kompetenten und gesundheitsbewussten Umgang mit digitalen Medien entwickeln.
Ein Team-Coaching-Programm kann punktuell auch dabei helfen, dies systematisch von innen heraus aufzubauen. Externe Impulse und Begleitung können hier je nach Bedarf und internen Ressourcen hilfreich sein, um das Programm nachhaltig wirksam zu verankern, kommunikativ sichtbar und im Arbeitsalltag präsent zu machen.
So werden die Mitarbeitenden im Prozess der digitalen Transformation auf effektive und effiziente Weise individuell unterstützt und befähigt. Gesundheitsförderung und Prävention sowie neues Wissen und gemeinsam Gelerntes werden direkt im Arbeitsprozess umgesetzt und im Austausch weiterentwickelt.