In Gesundheitssprechstunden und bei der beruflichen Wiedereingliederung in Unternehmen treffe ich zunehmend auf Menschen, die unter Long COVID oder dem Post-COVID-Syndrom leiden. Damit sind vielfältige beeinträchtigende Symptome verbunden, die im privaten Leben und erst recht im Berufsalltag herausfordern. Diese Wissensreihe richtet sich an Menschen, die sich auf den Wiedereinstieg vorbereiten sowie an Fachpersonen, die sie bei der Rückkehr zur Arbeit professionell unterstützen (wollen).
Hier möchte ich fundiertes Wissen und Erfahrungen über ähnlich komplexe Krankheitsbilder aus Klinik, Beratung und Rehamanagement teilen. Dies umfasst Themen von der medizinischen und beruflichen Rehabilitation bis hin zur betrieblichen Prävention mit dem Eingliederungsmanagement (BEM). Dies soll zum besseren Verständnis von Long COVID und chronischen Erkrankungen im Berufsalltag beitragen.
Vielleicht finden auch Sie hier Anregungen, die für Sie und Ihr Umfeld nützlich sind. Austausch und Live-Impulse sollen dazu ermutigen und darin bestätigen, alternative Denkweisen zu entwickeln und neue Wege zu gehen. Denn es lohnt sich und es ist nötig, auch vermeintlich Undenkbares einzubeziehen, sich für andere Sichtweisen zu öffnen und Perspektiven zu wechseln, um mehr Handlungsoptionen zu haben. Der Wiedereinstieg ist nicht einfach. Vieles lässt sich jedoch auf andere Weise als bisher gut realisieren.
Inhalte in diesem Artikel
Lesestoff und Einladung zum Austausch
Wozu gibt es diese Wissensreihe?
Sie dient als Wissensquelle, um sich am aktuellen wissenschaftlichen Stand zu orientieren und gibt Hilfestellung, um Sicherheit und Akzeptanz im Umgang mit Long COVID im Berufsalltag zu erlangen.
Diese Reihe richtet sich an Betroffene, die sich auf ihre berufliche Wiedereingliederung vorbereiten – Selbstständige und Angestellte, die durch Long COVID oder Post COVID im Berufsalltag beeinträchtigt sind. Ebenso spricht sie Fachpersonen an, wie BEM-Beauftragte und Beratende im Reha- und Fallmanagement und Integrationsbeauftragte, die bei der Wiedereingliederung unterstützen.
Anregungen sind dazu gedacht, um für sich selbst einen roten Faden ableiten zu können, worauf es beim Vorbereiten und bei der Rückkehr ins Arbeitsleben ankommt. Es sind Schlaglichter aus der Praxis, die die Vielfalt der betrieblichen Eingliederung zeigen, Inspiration aufgreifen und Tipps teilen, die Menschen mit Long COVID unterstützen, ihre bisherige oder eine andere Tätigkeit gesundheitsverträglich auszuüben.
Welche Themen folgen in den Artikeln?
1. Post COVID als Krankheitsbild: Symptome und Zusammenhänge verstehen
Medizinischer Wissensstand, persönliche Erfahrungswerte und Berichte von Betroffenen. Über Versorgungslücken, Barrieren und Strategien zum Selbstmanagement. Was hilfreich ist, um die Krankheitsfolgen zu verstehen und damit umzugehen.
2. Beruflicher Wiedereinstieg: Post-COVID-Reha und Rückkehr zur Arbeit vorbereiten
Möglichkeiten, Chancen und Fallstricke der medizinischen und beruflichen Rehabilitation. Prinzipien und Methoden in der Wiedereingliederung und präventive Strategien zur Risikoreduktion. Den Alltag und Lebensziele neu ausrichten und Arbeit anders gestalten.
3. Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM): pragmatisch vorgehen, strategisch neu denken
Wie Sie das BEM als beratende und verantwortliche Fachperson neu denken und koordinieren – und was dem im Wege stehen kann. Ansätze durch Frühintervention, professionelle Begleitung und individuelle Unterstützung der Rückkehr zur Arbeit.
Was zeichnet die Live Online-Dialoge aus?
1. Auf den Punkt: Kompakter Wissensinput, erprobte Strategien und Erfahrungswerte mit Fallstricken
2. Praxisnähe: Austausch zu Fallbeispielen, Interventionen in Einzelberatungen und in Organisationen
3. Diskurs: Neue Impulse, Öffnen von Denk- und Handlungsräumen, andere Sichten, Perspektivwechsel
Die Online-Dialogreihe ist ein kostenfreies Angebot zu meinem Newsletter im Health & Business Insider-Netzwerk. Die Dialoge finden als Live Talk jeden letzten Donnerstag im Monat zu diversen Themen statt. Sie sind interaktiv, persönlich und werden nicht aufgezeichnet.
Aus den Online-Dialogen am 29.09. und 27.10.2022 fließen Impulse, Denkanstöße und Tipps sowie Links zu weiterführenden Ressourcen in diese Artikelreihe ein. Zunächst folgen vier längere Texte und eventuell später noch Audioversionen für diejenigen, die lieber hören als lesen.
Was Long COVID im Berufsalltag bedeutet
Etwa 10 Prozent der Menschen, die eine akute Coronavirus-Infektion überstanden haben, leiden an Langzeitfolgen. Dazu zählen vielfältige Symptome, die länger als vier Wochen bestehen (Long COVID) und zu erheblichen Einschränkungen im Alltag führen. Oder die sich erst im Verlauf entwickeln oder/und länger als drei Monate anhalten (Post COVID). Von denen erfüllen je nach Studie bis zu 50 Prozent nach sechs Monaten die diagnostischen Kriterien für ME/CFS, als schwerste Form des Krankheitsverlaufs. Und es gibt Menschen, die nach der COVID-Impfung ähnliche Symptome entwickeln (Post-VAC-Syndrom).
Renz-Polster, H, Scheibenbogen, C: Post-COVID-Syndrom mit Fatigue und Belastungsintoleranz: Myalgische Enzephalomyelitis bzw. Chronisches Fatigue-Syndrom. Innere Medizin 63, 830–839 (2022). https://doi.org/10.1007/s00108-022-01369-x
Obwohl der überwiegende Teil der an Long COVID Erkrankten für Außenstehende “mild” oder “mäßig” betroffenen sind, haben sie im alltäglichen Leben und im Beruf mit komplexen Beeinträchtigungen zu kämpfen. Von ärztlicher Seite gelten sie als “genesen”, wenn Untersuchungen und Infektzeichen nach der Akutphase der COVID-19-Erkrankung unauffällig sind. Gesund sind viele dann noch lange nicht. Vielmehr sind sie unsichtbar und oft chronisch krank, mit deutlich geringerem Leistungsvermögen als vorher.
Die Menschen müssen neu lernen, ihre aktuellen Belastungsgrenzen aufgrund eingeschränkt verfügbarer Energie einzuschätzen und zu respektieren. Das ist unabdingbar, um trotz verringerter Ressourcen ihren Alltag im individuellen Toleranzbereich bewältigen zu können, ohne sich zu erschöpfen. Das Wichtigste ist die gesundheitliche Stabilisierung, möglichen beeinflussbaren Verschlechterungen im Krankheitsverlauf vorzubeugen und sowohl kurzfristige als auch langfristige gesundheitliche Risiken zu reduzieren.
Das bedeutet: Es ist ein grundlegendes Umdenken, Schärfen von bewusstem Wahrnehmen von ungewohnten Körpersignalen und Beobachten von sich selbst, dem Umfeld und wechselwirkender Beziehungen nötig. Dies ist ein kontinuierlicher Prozess, der Komplexitätsfähigkeiten und Kompetenzen zum Reflektieren, Analysieren und Umsetzen durch selbstgesteuertes Lernen aus Wissen und Erfahrung erfordert. Das braucht Zeit. Ärztlich-therapeutische Aufklärung und Anleitungen, die Belastungsgrenzen einzuhalten, ist daher in der Frühphase wichtig, um die Genesung und Rehabilitation zu unterstützen.
Belastungsgrenzen respektieren, innerhalb des individuellen Toleranzbereichs aktiv bleiben
Wer nach körperlichen oder geistigen Aktivitäten, die vorher gut verkraftet wurden, innerhalb von 12 bis 72 Stunden wiederholt eine Verstärkung der Symptome erlebt, unter einer erschöpfenden Müdigkeit leidet oder schon bei geringer Belastung zusammenbricht, sollte sehr wachsam sein. Dies könnten Hinweise auf das Leitsymptom von ME/CFS sein, die Belastungsintoleranz mit Post-exertional Malaise. Eine belastungsinduzierte Zustandsverschlechterung tritt auch ohne ME/CFS-Vollbild bei Post-COVID auf.
Es ist wichtig, strikt auf das eigene aktuelle Befinden zu achten und sich nicht nach Erwartungen richten, wie es „normalerweise“ sein sollte oder wie man es sonst von sich kennt. “Pacing” ist angesagt: Tempo reduzieren oder Aktivitäten stoppen, ruhen und dann bewusst, langsam in kleinen Schritten neu starten.
Pacing umfasst bei Me/CFS etablierte Selbsthilfe-Strategien, um sämtliche Aktivitäten im Alltag innerhalb des individuellen Toleranzbereichs zu bewältigen. Sie beruht auf dem Umsetzen eines vorausschauenden Aktivitäts- und Energiemanagements. Das ist enorm herausfordernd, zumal sich Toleranzgrenzen auch im Tagesverlauf dynamisch verändern. Pacing bedeutet auch, neue Denkmuster und Herangehensweisen zu lernen, die in jeder Lebenslage essenziell sind, ganz besonders in schwierigen und kritischen Situationen.
Ob eine Belastung in einem Moment zu viel war, macht sich oft erst verzögert nach nach ein bis zwei Tagen bemerkbar. Daher sind begleitende Dokumentationen in der Anfangsphase wichtig, um die eigenen Belastungsgrenzen besser einschätzen zu können. Tagebücher, digitale Tools für Notizen oder zum Monitoring von Symptomen und Behandlungsdaten können beim Analysieren, Auswerten und Üben helfen. Es gibt auch spezielle Tracking-Apps für das Krankheitsmanagement bei Long COVID und ME/CFS in englischer Sprache wie Eureka Health und visible. Sie machen einen guten Eindruck, ich habe sie aber noch nicht getestet oder ausreichend Erfahrungswerte aus der Beratung, um mehr darüber zu schreiben.
Was ist PEM und was ist Pacing?
Post-exertionale Malaise (PEM) ist ein spezifisches Kernsymptom von ME/CFS umfasst mehr als nur ein Unwohlsein nach Belastung. Es ist eine Symptom- und Zustandsverschlechterung nach Anstrengung, die bereits durch geringe körperliche, geistige, emotionale, soziale oder sensorische Reize ausgelöst werden kann. Auch eine permanente Verschlechterung des Gesamtzustandes durch einen Crash ist möglich.
Pacing umfasst Strategien des Energiemanagements, die im Alltag notwendig sind, um bei allen Aktivitäten innerhalb der individuellen Belastungsgrenzen zu bleiben. Gut erklärt ist Pacing auf der Seite und im Video der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS: https://www.mecfs.de/neues-video-erklaert-pacing/
Symptom- und Krankheitskontrolle erfordert Selbstregulation und Handlungsspielraum
Für Selbstmanagement und Selbstregulation müssen auch Möglichkeiten gegeben sein, durch persönliche Kompetenzen und Rahmenbedingungen, dem gerecht zu werden. Denn gesundheitsbezogenes Verhalten wird durch Verhältnisse geprägt. Achtsame Selbstfürsorge, planvolles Handeln und Flexibilität – Das wird ohne dynamisches Anpassen von Aktivitäten, situativ und problembezogen durch Alltagshandeln, und weitläufige Selbstorganisation nicht gelingen können. Zumal Pacing je nach Schweregrad auch schon bei geringsten Anforderungen nötig sein kann, die für gesunde Menschen Selbstverständlichkeiten sind.
Auf Fallstricke gehe ich in weiteren Artikeln und vor allem in den Online-Dialogen noch ein. Ein kritischer Erfolgsfaktor für die Rückkehr zur Arbeit bei Langzeiterkrankung ist ein unterstützendes soziales Umfeld. Es spielt eine wesentliche Rolle dabei, wie gut es Betroffenen mit Long COVID und anderen chronischen Komplexerkrankungen gelingt, mit alltäglichen Einschränkungen umzugehen und zu kompensieren, was für Außenstehende meist nicht sichtbar ist.
Der Wiedereinstieg und Neustart mit Long COVID im Berufsalltag ist für die Betroffenen selbst mit vielen Fragen, Unsicherheiten und Ängsten verbunden. Wie belastbar sie im Arbeitsprozess sind, offenbart sich in vollen Zügen erst nach Aufnahme der Tätigkeit. Und die zu verarbeitenden Krankheitserfahrungen, Verluste von Selbstbestimmtheit und Autonomie, Rückzug von Beziehungen, Berufschancen und finanzielle Sorgen können psychisch, emotional und sozial sehr belastend sein und isolieren.
Doch auch die Menschen im privaten und beruflichen Umfeld können im Umgang mit der Situation mehr oder weniger überfordert sein. Erwartungen, Vorurteile und Unkenntnis erschweren oft das Verständnis und führen dazu, dass die Herausforderungen und Chancen unterschätzt werden, die mit einem Rückkehrprozess verbunden sind. Dieser sollte gut durchdacht und möglichst begleitet erfolgen.
Überforderung meiden, situativ auf Kapazitäten und Kontextbedingungen eingehen
Ein gesundheitliches Risiko ist das Fehleinschätzen und Überschätzen der Belastbarkeit. Zum einen durch eingeprägte Selbst- und Fremdbilder und Maßstäbe früherer Leistung und gesellschaftliche Paradigmen. Zum anderen kommt es nach der Infektion oft zunächst zu Symptomverbesserungen. Die Betroffenen wägen sich in Sicherheit, wollen nach der langen Absenz schnell wieder einsteigen bzw. aus finanziellem oder/und sozialem Druck. Die Arbeit wieder aufzunehmen, ist für viele auch mit Hoffnung verbunden, ein Stück weit zur “Normalität” zurückzukehren. Zudem sind ärztliche Einschätzungen maßgeblich.
Meine Empfehlung an Erkrankte und Verantwortliche in Unternehmen ist, die Rückkehr nicht zu früh anzugehen und nicht zu forcieren. Sondern die Zeit der Arbeitsunfähigkeit in der Genesungsphase auch bewusst zu nutzen, eine andere Gangart zu finden, Dialoge anzuregen und die Phase des Wiedereinstiegs frühzeitig vorzubereiten und zu unterstützen. Am Anfang geht es um das Erfassen der Ausgangssituation, Verstehen von komplexen Problemen und veränderten Bedürfnissen mit arbeitsbezogener Auswirkung. Hier setzt das Aushandeln von realistischen Zielen mit relevanten Bedarfen und Erfordernissen an.
Klare, souveräne Kommunikation über gegenseitige Erwartungen und Wünsche ist für einen erfolgreichen Wiedereinstieg entscheidend. Ein Arbeitsklima, das psychologische Sicherheit unterstützt, trägt dazu bei. Auf einer soliden Informations- und Wissensbasis lassen sich Entscheidungen effektiver vorbereiten und Veränderungen gut koordiniert effizienter begleiten. Es müssen keine sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit abgewartet werden, um ein BEM einzuleiten. Unternehmen können mit Frühintervention aktiv werden, individuelle Beratungen unterbreiten, zu Informationsgesprächen einladen oder eine Hotline einrichten.
Woran können Sie sich orientieren?
Es gibt keine wirklichen Best-Practice-Lösungen als Blaupause, da jeder Fall, das soziokulturelle Umfeld, die Kontexte und die beruflichen Anforderungen einzigartig sind. Viele Faktoren spielen eine Rolle und beeinflussen sich gegenseitig. Aber es gibt Anregungen durch Beispiele “guter Praxis” im BEM, die Unternehmen umgesetzt haben und die Sie auf dem REHADAT-Portal Gute Praxis > Long COVID finden.
Inwieweit Einschränkungen im Sinne einer “bedingten Arbeitsfähigkeit” kompensiert werden können, hängt auch von den konkreten Anforderungen einer Tätigkeit im Gesamtkontext (inhaltlich, zeitlich, situativ, personell, organisatorisch) ab. Funktionierende Ansätze sind nicht selten das Ergebnis bereits gescheiterter Wiedereingliederungsversuche. Wissen ist das Ergebnis von Lernerfahrungen. Ein regelmäßiger konstruktiver Wissens- und Erfahrungsaustausch ist daher empfehlenswert.
So können neue Ideen entwickelt und individuelle Lösungen geschaffen werden. Daraus können eigene handlungsleitende Prinzipien entwickelt werden. Meine Erfahrung in der BEM-Begleitung zeigt, dass mehr versucht wird, wenn klar ist, dass es sich um einen Lern- und Veränderungsprozess handelt. Wesentlich ist ein Grundverständnis für Zusammenhänge, Wissen über Erkrankungen und funktionelle Auswirkungen. Druck hilft hier nicht. Vielmehr bedarf es eines Ansatzes, der sich mit der zunehmenden Fähigkeit entwickelt, innerhalb des durch die Erkrankung vorgegebenen Rahmens flexibel zu reagieren und zu agieren. Dies erfordert eine völlig andere Orientierung und Herangehensweise, die sich erst mit zunehmender Erfahrung einstellt.
Eine stufenweise Wiedereingliederung funktioniert bei Long COVID nicht einfach in der Weise, dass zunächst mit reduzierter Arbeitszeit begonnen wird und diese dann über einen Zeitraum von ca. vier bis sechs Wochen schrittweise auf das vorherige Arbeitspensum gesteigert wird. Dies ist von den quantitativen und qualitativen Anforderungen her – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – nicht realistisch. Das klassische „Hamburger Modell“, wie es z.B. bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz nach einer Wirbelsäulenoperation und anschließender Rehabilitation zur Anwendung kommt, ist nicht ohne weiteres übertragbar. Vielmehr geht es darum, die Passung von Arbeitsinhalten, Selbst- und Arbeitsorganisation zu erproben.
Veränderte Bedürfnisse und Bedarfe erkennen und einbeziehen
Eine zentrale Frage ist, welche Rahmenbedingungen es braucht und wie sie gestaltet werden können, damit die Arbeit mit Krankheitsfolgen gut gelingen kann, ohne zu überfordern und zu überlasten.
Welche Aufgaben müssen erledigt werden und wie können sie erledigt werden, um gewünschte Ergebnisse zu erzielen und Wohlbefinden zu fördern? Welche personalen, sozialen und organisatorischen Ressourcen unterstützen dies? Inwieweit wird Mitarbeitenden entsprechend krankheitsbedingter Einschränkungen ermöglicht, selbst zu erkennen und zu entscheiden, welche Tätigkeiten und Aufgaben in welchem Rahmen und zeitlichen Umfang möglich sind? Wie können sie diese ihrem veränderten körperlichen Rhythmus anpassen? Besteht die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten? Welche Hilfsmittel stehen zur Verfügung oder können angeschafft werden und wie werden diese effektiv genutzt?
Instrumente wie Arbeitssituationsanalysen, Bedarfsanalysen sowie Kompetenz- und Fähigkeitsprofile helfen, den Ist-Zustand zu klären und sowohl kurzfristige Handlungsoptionen als auch langfristige Perspektiven abzuleiten. So kann z.B. für eine Person mit Long COVID abgeleitet werden, wie eine leidensgerechte Tätigkeit aussehen könnte. Bei komplexen Erkrankungen geht es darum, umwelt- und personenbezogene Kontextfaktoren ressourcenorientiert einzubeziehen.
Ich bin davon überzeugt, dass es für viele Betroffene möglich wäre, mit der nötigen Flexibilität in Bezug auf Arbeitsinhalt, Arbeitsorganisation, Ort und Zeit, Arbeitsumfeld und mit sozialer Unterstützung ihre bisherige oder eine andere Tätigkeit wieder aufzunehmen und längerfristig auszuüben. Wenn Menschen und Organisationen nicht in starren Denkmustern, Verhaltensmustern und Berufsbildern verharren, sondern sich in einem Miteinander bewegen, das nicht konfliktfrei sein kann. Auch Unternehmen müssen sich ständig anpassen und werden mit komplexen System- und Umweltveränderungen selbst komplexer.
Professionelles Case Management, Gesundheits-, Reha- und Arbeitsintegrationsberatung, Job Coaching oder Health & Business Counseling können individuell unterstützen, herauszufinden, was es braucht und prozessorientiert begleiten. Medizinisch-therapeutische Behandlung im rehabilitativen Setting sollte auf Teilhabe fokussieren und keine Steigerung der Belastung forcieren.
Wenn „aktives Bremsen“ wichtiger ist als aktivierende Therapien
Auch wenn es schwer fällt, zu akzeptieren, dass der gesundheitliche Status vorerst auf unbestimmte Zeit so ist, wie er ist. Es erfordert ein tieferes Durchdringen der Probleme, die individuell in der persönlichen Lage und unternehmensseitig in Bezug auf die Wertschöpfung zu lösen sind: Hier sind Chancen und Möglichkeiten, die entwickelt werden können. Nicht bei allen, aber bei manchen schon.
Schon frühzeitig ist es angezeigt, berufliche und soziale Problemlagen zu erfassen und gangbare Entwicklungsziele für die spätere Rückkehr an den Arbeitsplatz zu besprechen. Dabei mögliche Alternativwege und Perspektiven einzubeziehen, ist ratsam, um nicht abwartend vor vollendeten Tatsachen zu stehen. Hier ist eine realistische Einschätzung und gegenseitige Fairness gefragt.
Die Betroffenen sind mehr oder weniger funktionell eingeschränkt. Die Ausprägung der Symptome ist sehr unterschiedlich. Sie reicht von leichten Defiziten, die sich erst im Laufe des Tages bemerkbar machen, bis hin zur Pflegebedürftigkeit. Letztere wird häufig durch eine zu starke und zu frühe Belastung hervorgerufen. Dies bedeutet auch, dass die schlimmste und möglicherweise irreversible chronische Form von Long COVID, Post-COVID-ME/CFS, oft verhindert werden könnte.
Daher ist genauer hinzuschauen, was jemand leisten kann, ohne Gefahr zu laufen, weitere körperliche und gesundheitliche Schäden zu erleiden. Es ist nicht zu erwarten, dass jemand mit Langzeitschäden wieder zu 100 % seine ursprüngliche Leistungsfähigkeit erreicht. Es ist schön, wenn das passiert. Aber das kann nicht der Maßstab sein. Solange es keine heilenden Behandlungsansätze gibt, muss ein Weg mit Abstufungen zwischen „ganz oder gar nicht“ gefunden werden. Dies gilt generell für das Verständnis der Auswirkungen von chronischen Krankheiten und Lebensstiländerungen.
Literatur zu Rehabilitation
Lese-Empfehlung: Mein LinkedIn-Impuls zur Rehabilitation bei Post-COVID-Syndrom und ME/CFS, über Missverständnisse, therapeutische Zwecke und Mittel – Neue Wege aus dem Versorgungs-Dilemma mit Bedarfsorientierung. Und „Der Reha-Gedanke muss bei dieser Erkrankung völlig neu gedacht werden“, die Auswertung einer Online-Befragung bis 2022 zu Erfahrungen Betroffener mit stationärer Rehabilitation bei Long COVID bzw. mit dem Post COVID-Syndrom von Frau Prof. Sabine Hammer et al.
Ressourcen und Teilhabeziele bestimmen die Richtung
Ein systematischer Strategieprozess, ein zirkulärer Planungsrahmen, kann eine gesundheitsorientierte Neuausrichtung, bei der vorhandene Ressourcen effektiv genutzt werden, wesentlich erleichtern. Eine stärkere Fokussierung auf Selbstwahrnehmung, Selbstfürsorge und Verbesserung der Wertschöpfung ist wichtig, um mit Beeinträchtigungen produktiv arbeiten zu können, ohne Überlastungen zu provozieren. Gefährdungsbeurteilungen und Beratung helfen, das Arbeitsumfeld zu gestalten und die Arbeitsorganisation anzupassen. Dazu gehört auch die Ermittlung sinnvoller Hilfsmittel, die die Betroffenen in ihrem Kontext unterstützen.
Seriöse Empfehlungen basieren auf einer sorgfältigen individuellen Bedarfsanalyse für unterstützende Maßnahmen zum Wiedereinstieg, einschließlich der Klärung einer “leidensgerechten Tätigkeit”. Professionelle Beratung kann individualisierte Ansätze in die Umsetzung einbringen, die durch persönlich begleitete Perspektiv-, Ziel- und Strategieentwicklung Orientierung und Zuversicht vermitteln. Dies ist eine sinnvolle Ergänzung zur betriebsärztlichen Begleitung im Wiedereingliederungsprozess, bei der gesundheitliche und arbeitsbezogene Aspekte unter Einbeziehung medizinischen Wissens betrachtet werden.
Ergotherapeutische alltags- und arbeitsbezogene Beratung, die Erprobung von Hilfsmitteln vor Ort und berufsorientierte rehabilitative Interventionen können ebenfalls helfen, Barrieren und Probleme zu erkennen und Lösungen bzw. neue Ansätze und Unterstützungsstrukturen zu entwickeln. Häufig ist eine Verzahnung erforderlich. Der Bezugsrahmen, übergeordnete Teilhabeziele und konkretere Handlungsziele sollten vorab formuliert werden. Da die Realitäten jedoch von den Annahmen abweichen, sind Anpassungen im Verlauf notwendig. Planung und Umsetzung müssen dynamisch und flexibel sein.
Eine reflexive Strategieentwicklung und eine begleitete Umsetzung stärken die Selbstwirksamkeitserwartung und die Sicherheit für die Wiedereingliederung, wenn positiv erlebte Schritte aufeinander aufbauen. Wenn die am Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) Beteiligten und die Prozessverantwortlichen gemeinsam an einem guten Gelingen arbeiten.
Ein kompetenter Umgang mit Planungsunsicherheit und Ungewissheit ist ist entscheidend. Erwartungshaltungen und Verhaltensmuster müssen immer wieder reflektiert, Leistungs-, Ziel- und Erfolgsparameter im Dialog neu definiert und Bedingungen angepasst werden. Nutzen Sie die Chancen einer inklusiveren und nachhaltig präventiven Arbeits- und Wertschöpfungsorganisation!
Disclaimer:
Dieser Artikel wurde am 22.09.2022 auf diesem Blog erstveröffentlicht und am 26.01.2024 aktualisiert.
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Ausblick auf weitere Artikel
Auf die Bedeutung, Prinzipien und Methodik zur Entwicklung von realistischen Zielen und realisierbaren Strategien für die Neuausrichtung und Arbeitsgestaltung mit begrenzten Ressourcen gehe ich später ein. In der Beratung geht es oft auch um den Aufbau neuer beruflicher Zukunfts-Perspektiven im Leben mit Einschränkungen.
In dieser Wissensreihe werde ich weitere Einblicke geben, in die ich Schilderungen von Erkrankten als auch von Fachpersonen im Gesundheitswesen, im Reha- und Eingliederungsmanagement integriere. Es wird ein Mix aus fachlichen Impulsen und persönlichen Erkenntnissen, der zum Nachdenken und Diskurs anregen darf. Über neue Artikel informiert Sie mein Newsletter.
Bisher auf meinem Blog veröffentlicht
Long COVID im Berufsalltag – Wissensreihe für Wiedereinsteiger und Fachleute im BEM
Lesetipp: Long COVID lässt neu behinderte Menschen vor alten Barrieren stehen
Long COVID in den Medien: Gratwanderung zwischen Diskriminierung und Aufklärung
LinkedIn-Beiträge: Mehrmals wöchentlich können Sie zudem Beiträge von mir auf LinkedIn lesen und kommentieren – mittwochs geht es explizit rund um Long COVID, Post COVID und ME/CFS. Die Beiträge finden Sie unter dem Hashtag #MEAwarenessHour, den ich zur Unterstützung der Betroffenen-Initiative nutze (auch auf BlueSky und Mastodon jeden Mittwoch zwischen 21 und 22 Uhr).
Weitere Publikationen
Zwei Beiträge von REHADAT, an denen ich mitwirken durfte:
1. REHADAT Wissensreihe (2023): Von wegen nur ein Schnupfen! Wie sich die berufliche Teilhabe von Menschen mit Long COVID gestalten lässt. Kommentar zu “Arbeit sozial gestalten”. Kapitel 3, Abschnitt 3.5: »Ich kenne meine Belastungsgrenzen« LÖSUNGEN FÜR DEN ARBEITSALLTAG”. https://www.rehadat-wissen.de/ausgaben/12-long-covid/
2. REHADAT Gute Praxis (2023): Interview im Rahmen der REHADAT-Wissen Ausgabe 12 zu Long COVID: Es ist an der Zeit für eine gesundheitsorientierte Neuausrichtung!. Etwas versteckt in der Box unter dem Reiter “Interview”. https://www.rehadat-gutepraxis.de/praxisbeispiele/interviews/
Sie haben die Online-Dialoge verpasst?
Über meinen Health & Business-Insider erhalten Sie Informationen, sobald ich weitere Termine plane. Sie können mir gerne eine Anfrage stellen, wenn Sie einen interaktiven Impulsvortrag wünschen.
Fragen wie diese bieten sich für einen Online-Dialog zum Thema “Long COVID im Arbeitsleben” an:
1️⃣ Wie finden Sie die richtige Strategie für Ihren Rückkehrprozess im Berufsalltag und Unternehmen?
2️⃣ Was können Sie zur Prävention und Linderung tun, wenn Symptome mit der Belastung zunehmen?
3️⃣ Wann hilft eine medizinische Rehabilitation weiter und wann nicht – Gibt es Alternativen?
4️⃣ Wie kann die Arbeits- und Unternehmensorganisation zum gelingenden Wiedereinstieg beitragen?
5️⃣ Wie unterstützen Sie Menschen mit Beeinträchtigungen, im Arbeitsprozess und Betrieb zu bleiben?
Sie wünschen sich professionelle Begleitung?
Gerne! Nehmen Sie hier Kontakt auf. Oder buchen Sie direkt ein unverbindliches Erstgespräch. Lassen Sie uns gemeinsam herausfinden, was für Sie passt. Ich biete Ihnen folgende Möglichkeiten an:
Fachaustausch: Wenn Sie interessiert sind, Erfahrungen austauschen und Gesundheitskompetenz für sich persönlich und Ihr Unternehmen professionalisieren wollen, lade ich Sie in mein Insider-Netzwerk ein. Hier erwarten Sie Fach-Impulse, Gedanken und Tipps nebst Live Online-Dialogen zum persönlichen Kontakt. Ich halte Sie auch zu neuen exklusiven Beratungs- und Bildungs-Angeboten auf dem Laufenden.
Beratung und Begleitung: Unternehmen und Einzelpersonen biete ich virtuelle Sprechstunden, Fach- und Prozessberatung im Kontext beruflicher Bildung und Transformation an. Telemedizin eignet sich in allen Bereichen der betrieblichen Prävention, der Gesundheitsförderung und Frühintervention bis hin zum Eingliederungsmanagement (BEM). Ich stehe Ihnen bei Fragen zur medizinischen oder beruflichen Rehabilitation, zur Vorbereitung von Gesprächen und in der Fallreflexion bei Schwierigkeiten zur Seite.
6 Gedanken zu „Long COVID im Berufsalltag – Wissen für Wiedereinsteiger und Fachleute im BEM“
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